14.30 Uhr: Knieverletzung/ Fußverletzung nach Trampolinspringen
keine genaueren Informationen zum Patienten/zur Patientin
Man erkennt auf den ersten Blick die Fehlstellung im Bereich des Kniegelenkes. Die Patella (Kniescheibe) ist nicht nach lateral (seitlich) verschoben. In der weiteren Untersuchung fällt dorsal (auf der Rückseite) eine Schwellung auf.
Die Füße sind seitengleich warm, Fußpuls ist links allerdings nicht tastbar. Sensibilität und Beweglichkeit der Zehen sind gegeben. Im Seitenvergleich zeigt sich am linken Bein distal (von der Körpermitte weg) des Knies eine etwas verlängerte Rekap.-Zeit (ca. 4 Sek.).
Weitere Schmerzen gibt der Patient nicht an; das Becken ist stabil, Thorax ebenso, die weiteren Extremitäten sind frei beweglich, bewusstlos wäre er nie gewesen.
Info: Unter einer Kniegelenksluxation versteht man eine Verrenkung des Kniegelenks, die meist im Rahmen eines schweren Traumas auftritt. Sie zählt zu den schwersten Verletzungen am Kniegelenk, bei der es meist zu Abrissen sämtlicher Bänder sowie von Nerven und Gefäßen kommt.
Medikation: Angelegt wird in der rechten Cubita (Ellenbeuge) ein 18G Venflon und es werden 150µg Fentanyl unter Pulsoxymetrie verabreicht. Da nur ein...
Medikation: Angelegt wird in der rechten Cubita (Ellenbeuge) ein 18G Venflon und es werden 150µg Fentanyl unter Pulsoxymetrie verabreicht. Da nur eine leichte Besserung auftritt, werden weitere 50µg gegeben.
Unter Zug wird eine Vakuumschiene angelegt, die Schmerzsituation ist für den Patienten erträglich. Mittels Schaufeltrage gelingt nun der Transport in den SEW (Sanitätseinsatzwagen). Hierzu wird der Patient in diesem Fall unter Stützung des Beins einfach seitlich auf die Schaufeltrage „gekippt“, da die lehrbuchmäßige Handhabe (Patient liegt noch immer auf dem Trampolin) nicht möglich ist.
15.10 Uhr Von den zwei verfügbaren Unfallkliniken im Großraum wird jene angesteuert, die auch eine über eine Gefäßchirurgie verfügt. Während der Fahr...
15.10 Uhr
Von den zwei verfügbaren Unfallkliniken im Großraum wird jene angesteuert, die auch eine über eine Gefäßchirurgie verfügt. Während der Fahrt klagt der Patient nun wieder über zunehmende Schmerzen. Auf eine weitere Untersuchung des Beins wird während der Fahrt verzichtet und wäre unter der Schienung auch nur unzureichend möglich gewesen. Es werden weitere 50µg Fentanyl verabreicht, die nur wenig Besserung bringen.
15.20 Uhr: Ankunft in der Unfallambulanz des Klinikums. Die Erstbegutachtung erfolgt vom unfallchirurgischen Assistenzarzt. Es werden nun in der Ambu...
15.20 Uhr: Ankunft in der Unfallambulanz des Klinikums.
Die Erstbegutachtung erfolgt vom unfallchirurgischen Assistenzarzt. Es werden nun in der Ambulanz 10mg Ketanest, sowie zur Basisschmerztherapie 75mg Voltaren verabreicht.
Der Patient klagt nun über zunehmend „krampfartige“ Schmerzen im Bereich der linken Wade. Nach Wechsel der Vakuumschiene, mit einer unfallchirurgischen Schiene fällt eine weitere Verlängerung der Rekap.-Zeit auf (>5sec), sowie eine zunehmend livide (bläulich, blassblau) Verfärbung des Unterschenkels. Das Röntgen wird rasch verständigt. VAS (Visual Analogskala) wird nun vom Patienten mit „12/10“ (Schmerzskala von 0-10 reichend) angegeben.
Aufgrund der Gesamtsituation (v.a. Gefäßabriss bei Knieluxation) wird nun zur schnelleren Versorgung ein „Schockraum“ ausgelöst. Im Schockraum werden weitere 15mg Ketanest verabreicht. Der Patient ist nach wie vor gut kontaktierbar. Die weitere Begutachtung erfolgt nun durch den unfallchirurgischen Facharzt, den diensthabenden Gefäßchirurgen, sowie zwei Anästhesisten. Da die Indikation zur raschen Reposition und angiographischen Darstellung der Gefäßsituation besteht, wird zuerst eine Reposition in Allgemeinanästhesie mit anschließender Angio-CT beschlossen.
Die RSI (Rapid Sequence Induction, Blitzeinleitung) wird nun nach komplettem Monitoring (RR 190/100, Puls 68, sO2 97, Sinusrhythmus im EKG) mittels 200mg Propofol, weiteren 200µg Fentanyl und 100mg Esmeron völlig problemlos durchgeführt. Die Reposition gelingt, ein CT wird angefertigt. Der Patient ist völlig kreislaufstabil mit hypertoner Kreislaufsituation, es werden ernut 100µg Fentanyl verabreicht, sowie eine Propofol- Motorspritze gestartet.
Im CT zeigt sich die A. poplitea (Kniekehlenarterie) li über ~5cm nicht kontrastiert/verschlossen.
Im Konsens wurde nun bereits die Stabilisierung des Gelenks mittels Fixateur extern, sowie die gefäßchirurgische Versorgung (Fem.Pop) beschlossen und durchgeführt.
Allerdings kam es durch die Einblutung zu einem Kompartment, sodass eine Kompartmentspaltung durchgeführt wurde, sowie im Verlauf mehrere VAC Wechsel.
Fehlende Kontrastierung der linken A. politea (Kniekehlenarterie)
Präklinisch bestehen immer sehr reduzierte Möglichkeiten einer Diagnostik. Der Patient war kreislaufstabil, hatte weder eine A, B, oder C Problematik. Initial hatte der Patient kein deutliches Sensibilitätsdefizit, die Beweglichkeit war nicht reduziert. Die periphere Durchblutung - A. dorsalis pedis (Fußrückenarterie) sowie A. tib. post (hintere Schienbeinarterie) - war allerdings nicht eindeutig gegeben. Ebenso war hier die Rekap.-Zeit verlängert.
Eine Reposition ist präklinisch zum einen aufgrund des Muskelzuges (M. quadriceps) wohl unmöglich, zum anderen aufgrund der fehlenden Möglichkeit einer Bildgebung nicht indiziert. Im schlimmsten Fall könnte es bei einem blinden Repositionsversuch zu einem weiteren Trauma kommen (Gefäßabriss durch Knochensplitter etc.): „Bei distalen Femurfrakturen sollte ein stärkerer Längszug vermieden werden, da dieser zur Kompromittierung der Poplitealgefäße führen kann. Eine leicht gebeugte Lagerung im Kniegelenk kann erfolgen (30–50 Grad)“ (aus S3 Leitlinie- Polytrauma, Schwerverletzenbehandlung)
Essentiell ist in diesem Fall, den Patienten so rasch als möglich in das richtige Krankenhaus zu transferieren (Gefäßchirurgie!), was natürlich im Zentralraum leichter ist als in der Peripherie.
Der Vorteil großer Städte einer umfassenden Versorgungsmöglichkeit, kann zugleich ein Nachteil sein, wenn mehrere Spitäler unterschiedliche Versorgungsmöglichkeiten anbieten.
Das Wissen, welche Fachgebiete in welchem Spital zur Verfügung stehen, ist von immenser Wichtigkeit, da der Transport in das falsche Spital auch innerstädtisch bis zu einer Stunde dauern kann. Die angefügten Daten stammen zwar aus Bayern wo man mit größeren Distanzen rechnen kann, allerdings darf der organisatorische zeitliche Aufwand nicht unterschätzt werden.
Selbst bei vorhandenem Puls haben bis zu 9% der Patientinnen Gefäßläsionen, insbesondere Intimaläsionen (Verletzung der inneren Schicht eines Gefäßes).
In den Leitlinien „DGU-Leitlinie 012-025 Kniegelenkluxation“ von 2020 wird in der Erstversorgung folgendes empfohlen:
Ein Repositionsversuch wird in diesen Leitlinien empfohlen, sofern die Diagnose bereits gesichert ist! Da präklinisch kein Röntgen zur Verfügung steht, wurde hier zurückhaltend agiert.
Aufgrund der ausgeprägten Instabilität dieses Luxationstyps ist die Indikation zur Anlage eines Fixateur externe großzügig zu stellen. Die Stellung des Kniegelenks im Fixateur externe sollte radiologisch kontrolliert werden.
Nach dem Zivildienst im Rettungswesen hat Tobias Guttmann das Medizinstudium in Graz absolviert, Turnus in Linz (noch AKh).
Beginn der Facharztausbildung für Anästhesie und Intensivmedizin 2016, Abschluss 2021.
Während des Studiums ehrenamtliche Tätigkeit bei der Rettung.
2017 (zitternder) Beginn der notärztlichen Tätigkeit, bislang weit über 1000 Einsätze.